Aussagekräftige Zuchtwerte & "Zuchtwert-Prognosen"
Am 1. April 2025 wurden die Zuchtwerte für die Produktions- sowie für die Exterieurmerkmale nach der SingleStep-Schätzmethode publiziert. Mit SingleStep konnten die Sicherheiten bei den Zuchtwerten erhöht werden. Doch was bedeutet dies für die Züchter? Eine gute Gelegenheit, um das Thema «Aussagekraft von Zuchtwerten» aufzugreifen.
Hohe Zuchtwerte und schöne Balkendiagramme sehen immer toll aus. Aber wie zuverlässig sind diese tatsächlich?
Zuchtwert ist nicht gleich Zuchtwert
Die Zuchtwertschätzung ist, wie es der Name sagt, bloss eine Schätzung und kann nie zu 100 % sicher sein. Je mehr Informationen über ein Tier verfügbar sind, desto höher wird das Bestimmtheitsmass (=Sicherheit) seiner Zuchtwerte. Das Bestimmtheitsmass (B%) wird auch durch eine hohe Erblichkeit (Heritabilität) des Merkmals positiv beeinflusst. Die Sicherheit wird immer zusammen mit den Zuchtwerten publiziert und muss unbedingt beachtet werden.
Die meisten Zuchtwerte haben ein Bestimmtheitsmass (B%) von 50 - 99. Je höher das B%, desto genauer ist die Zuchtwertschätzung.
Der viel eingesetzte Stier Blooming hat dank den vielen Töchterleistungen ein Bestimmtheitsmass von 99%. Somit haben seine Zuchtwerte eine sehr hohe Aussagekraft.
(Bildquelle: Screenshot www.swissgenetics.ch)
"Zuchtwertprognosen"
Bei Jungtieren gibt es noch wenige Informationen, welche für die Zuchtwertschätzung verwendet werden können. Die zur Verfügung stehenden Informationen beschränken sich auf die Ahnen und dessen Leistungen & Zuchtwerte sowie auf die Zusammensetzung des Erbgutes. Letzteres wurde mit nachzuchtgeprüften Stiere abgeglichen, um daraus schlussendlich die rein genomischen Zuchtwerte berechnen zu können. Zusammen mit den Ahneninformationen (Abstammungszuchtwert) wurde daraus der Genomisch-Optimierte-Zuchtwert (GOZW) berechnet.
Sprich, mit der Abstammungsinformationen und der Herleitung anhand der Zusammensetzung des Erbgutes wurde eine Art "Prognose" für den tatsächlichen Zuchtwert erstellt.
Eine Zuchtwertschätzung ist vergleichbar mit einer Wetterprognose: Je weniger Informationen vorhanden sind, desto unsicherer wird die Prognose. Deshalb sind Langzeit-Wetterprognosen bei unsicherer Wetterlage nicht nur für den Meteorologen heikel, sondern auch für den Viehzüchter! -Im übertragenen Sinne.
Bildquelle: Screenshot SRF Meteo
SingleStep-Zuchtwertschätzung
Was ist der Unterschied zur bisherigen Genomischen Zuchtwertschätzung? Ganz einfach: Wie bereits gesagt wurde anhand der Ahnenleistungen und deren Zuchtwerte der Abstammungszuchtwert berechnet. Gleichzeitig wurde die Zusammensetzung des Erbgutes mit nachzuchtgeprüften Stieren abgeglichen, um daraus die Zusammenhänge zu deren Zuchtwerten zu ermitteln. Die Berechnung des Abstammungszuchtwertes und der Erbgutabgleich mit den Altstieren waren somit zwei Schritte. Deshalb hiess die bisherige Zuchtmethode "Zwei-Schritt-Methode".
Die neue Methode heisst bekanntlich SingleStep. Auf Deutsch: "Ein-Schritt-Methode". Hier wird nun das Ergbut des Jungtieres nicht nur mit den Altstieren verglichen, sondern auch mit Kühen, welche Eigenleistungen aufweisen und genomisch typisiert sind. Der Abstammungszuchtwert wird dabei NICHT mehr berechnet. Somit entfällt dieser Schritt. Aus zwei Schritten wurde ein Schritt = SingleStep.
Da neu auch die genomischen Daten der Kühe in die genomische Zuchtwertschätzung hineinfließen, konnte die Sicherheit der genomischen Zuchtwerte erhöht werden.
Mit SingleStep kann die Sicherheit erhöhen werden
Die Erhöhung der Sicherheiten von den genomischen Zuchtwerten ist sehr erfreuliche und für die Rasse wichtig. Aber auch die SingleStep-Methode kann mal daneben liegen. Statistisch gesehen etwas weniger als mit der bisherige genomische Zuchtwertschätzung, aber "Fehlschüsse" oder "Fehlprognosen" sind auch mit SingleStep nach wie vor möglich.
Trotz erhöhter Sicherheit darf man nicht vergessen, dass sich die Technologie der genomischen Zuchtwertschätzung nach wie vor in den Kinderschuhen befindet.
Wie genau sind die SingleStep-"Zuchtwertprognosen"?
Wie beim Wetter sind auch bei der genomischen Zuchtwertschätzung die Prognosen unterschiedlich zuverlässig. Es hängt von der Datengrundlage ab. Desto mehr Verwandte mit genomischen Informationen und Eigenleistungen ein Tier hat, desto genauer kann die Prognose gemacht werden. Deshalb ist es wichtig, dass möglichst viele Tiere genomisch typisiert werden.
Durch diese Gegebenheit, wird die Sicherheit der SingleStep-Zuchtwerte von Tier zu Tier unterschiedlich sein.
Beispiel Zuchtwert "Milch kg"
Der Stier MAX hat einen Zuchtwert Milch von +800 kg. Nun möchten wir wissen, wie weit diese Prognose abweichen kann.
Mit einer Sicherheit (B%) von 65% kann der tatsächliche Zuchtwert zwischen +220 und +1'380 kg liegen. Wobei zu erwähnen ist, dass der tatsächliche Zuchtwert zu einer Wahrscheinlichkeit von 5% auch außerhalb dieser beiden Werten liegen könnte. Eine Sicherheit von 65% wurde mit der bisherigen genomischen Zuchtwertschätzung (GOZW) erreicht.
Mit der SingleStep-Zuchtwertschätzung wird eine Sicherheit um die 85% erreicht. Auch mit dieser Sicherheit ist die Spannweite gross.
Wichtig zu erwähnen ist, dass in diesem Beispiel die Wahrscheinlichkeit höher ist, dass der tatsächliche Zuchtwert in der nähe der +800 kg liegt, als bei der unteren oder oberen Grenze.
Wichtige Entwicklung für das Braunvieh
Die Berechnungen für die genomischen Zuchtwerte wurden mit den SingleStep noch umfangreicher. Es ist eine unvorstellbare Datenmenge, welche für die Berechnungen verarbeitet wird. Da reicht ein einfacher Rechner längst nicht mehr aus. Aber für unsere Rasse ist es definitiv der richtige Schritt.
Die genomischen Zuchtwerte sind ein wichtiges Instrument für die Viehzucht. Wie jede Technologie hat auch diese ihre Grenzen. Wenn man diese aber kennt, kann man die Genomische Zuchtwertschätzung bestmöglichst nutzen.
Der Rechner für die genomische Zuchtwertschätzung muss mit Daten gefüttert werden. Daher ist es wichtig, dass möglichst viele Tiere genomisch typisiert werden. Je mehr Daten vorhanden sind, desto genauer können die Zusammenhänge und Verstrickungen zwischen Leistung, Fitness und Exterieur zum Erbgut berechnet werden.
Schlussendlich ist es faszinierend, dass es überhaupt möglich ist, Zuchtwert-Prognosen aus nur ein paar Haaren zu erstellen. Dies ist einer enormen Leistung von der Forschung zu verdanken! Daher auch ein Dank an allen Beteiligten, welche diese Technologie für das Braunvieh zugänglich gemacht haben.
Trotz der noch etwas tiefen Sicherheiten ist dies gerade für Rassen mit kleinen Populationen keine Selbstverständlichkeit und muss geschätzt werden.
Bildquelle: Braunvieh Schweiz
Anders formuliert:
Die Genomische Zuchtwertschätzung bleibt auch mit SingleStep nach wie vor ein «Prüfstier», welcher man einsetzten soll, um ihn "prüfen" zu können. Es wird sich in ein paar Jahren zeigen, ob dieser «Prüfstier» seine Erwartungen gerecht wird oder ob nachjustiert werden muss.
Wie ein Prüfstier, soll auch die neue Zuchtwertschätzung mit der notwendigen Vorsicht eingesetzt werden.
Nachtzuchtprüfung und Halteprämien sind wichtig
Trotz anfänglicher Euphorie, konnte die Genomische Selektion die Nachzuchtprüfung bis heute nicht ablösen. Dies wird auch vorläufig mit der SingleStep-Zuchtwertschätzung nicht der Fall sein. Es braucht beides.
Auch Halteprämien sind weiterhin wertvolle und wichtige Anlässe. Wir Stierenhalter sind verantwortlich, dass diese auch in Zukunft erhalten bleiben.
Bildquelle: Reto Betschart
Anmerkung: Mit diesem Betrag möchten wir niemanden kritisieren oder sogar an den Pranger stellen. Unsere Absicht ist es, dass die Feststellungen der Züchterschaft auf den Tisch gebracht werden. Wir möchten auf gewisse Themen aufmerksam machen, sensibilisieren und Diskussionen anregen.
Unser gemeinsames Ziel muss sein, Fehler zu erkennen, um diese in Zukunft zu vermeiden. Gemeinsam möchten wir die braune Kuh weiterentwickeln und verbessern.
Autor: Thomas Müller, Landwirt & Agronom, SHV-Vorstandsmitglied