Wenn "Schein" mehr gilt als "Sein"
Oder: Wenn das Bildbearbeitungsprogramm das Zuchthandwerk bedroht
Wo hört die «Verschönerung» auf und wo fängt der Betrug an? Eine Frage, welche beim Betrachten von Kuh- oder Stierbilder immer häufiger gestellt wird.
Bild: Das glätten der Rückenpartie ist eine gängige Praxis in der Bildbearbeitung. Mal mehr und mal weniger offensichtlich.
Braucht es das "Züchter-Auge" in der heutigen Zeit noch?
Vor der großen "Zahlenflut" wurden die Zuchttiere von Kopf bis Schwanz visuell begutachtet. Jedes kleinste Detail wurde diskutiert.
Durch die Zuchtwertschätzung, insbesondere durch die genomischen Selektion, verlor das Züchter-Auge seine Bedeutung. – Könnte man auf jeden Fall meinen, wenn man das aktuelle Zucht-Geschehen beobachtet.
Bildquelle: Braunvieh Schweiz
Die Gefahr der Verblendung
Das altbewährte Züchter-Auge wurde immer stärker durch die Zahlen geblendet.
Immer höhere Zuchtwerte und immer schönere Balkendiagramme ließ manch ältere Züchterweisheit in Vergessenheit geraten.
Die imposanten Balkendiagramme wurden dann gerne mit Tierbildern ergänzt, welche am Computer bearbeitet wurden. Mit den bearbeiteten Bildern wird dem Züchter eine falsche Wirklichkeit vorgetäuscht.
Die bearbeiteten Bilder in Kombination mit den genomische Zuchtwerten, welche noch tiefe Sicherheiten haben, ist eine gefährliche Mischung. Aber damit lässt es sich offenbar verkaufen!
Bilder am Computer zu bearbeiten ist "kinderleicht" und gehört zur gängigen Praxis.
Da heute (fast) jeder die Bilder bearbeitet, wurde diese Praxis zur Norm.
Generell gilt: Sobald eine fragwürdige Praxis jeder macht, legitimiert sich diese Vorgehensweise.
Dadurch wird die Bildbearbeitung von den meisten kaum noch hinterfragt.
Ist die Bildbearbeitung Betrug?
Gemäß Wörterbuch ist «Betrug» das Täuschen, Irreführen und Hintergehen eines andern.
Wir lassen es an dieser Stelle offen, ob es nun Betrug ist oder nicht. Diese Frage soll jeder für sich beantworten.
Wie das Ausland oder die anderen Rassen ihre Tierbilder bearbeiten kann uns als Braunviehzüchter egal sein.
Zum Wohle der Braunviehzucht soll in Zukunft auf natürliche, unbearbeitete Tierbilder gesetzt werden. Diese Bilder haben eine Aussagekraft und somit einen Nutzen für die Viehzucht.
Bildquelle: Screenshot www.stgen.com
Das "Positive" an den meisten bearbeiteten Bilder ist, dass die Bearbeitung offensichtlich ist. Aber was ist der Nutzen von diesen nichts aussagenden Bilder?
Problematischer wird es, wenn die Bearbeitung nicht mehr offensichtlich ist. In diesem Fall muss der Züchter genau hinschauen, damit er nicht getäuscht wird.
Nicht nur der Rücken wird mit Hilfe des Computers korrigiert. Beim genauen Hinschauen wird klar ersichtlich, dass auch Sprunggelenke heute teilweise wegretuschiert werden.
Je natürlicher, desto aussagekräftiger
Wir, die Stierenhaltervereinigung, machen bei diesem Modetrend bewusst nicht mit. Wir verzichten bestmöglichst auf manipulierte Bilder und legen unsere Mitglieder nahe ihre Tiere so abzubilden, wie sie tatsächlich sind.
"Ehrlichkeit währt am längsten" ist eine Weisheit, welche heute noch gilt.
Tierbilder sind wichtig
Welcher Züchter hat noch Zeit, um die Tiere vor Ort zu besichtigen? Daher sind Tierbilder nach wie vor eine wertvolle Möglichkeit, um ich sich auf die Schnelle wortwörtlich ein Bild von einem Tier zu machen. Dies ist aber nur möglich, wenn die Bilder ehrlich und unverändert sind.
Das perfekte Tier gibt es nicht, daher darf man den Mut haben, um auch die Schwächen eines Tieres zu zeigen. Dadurch kann der Züchterkollege das Tier mit all seinen Stärken und Schwächen möglichst gezielt für seine Zucht verwenden.
Die vorhandenen technischen Möglichkeiten nutzen
Zur anfangs gestellten Frage, ob es das Züchter-Auge noch braucht.
Antwort: JA, und zwar mehr denn je – aber bitte mit "Sonnenbrille"!
Die Sonnenbrille braucht es, um sich von den hohen Zuchtwerten und von den schönen Balkendiagramme nicht blenden zu lassen. Sprich, man muss die Möglichkeit haben, um die Tiere auch selbst visuell möglichst genau beurteilen zu können.
Unbearbeitete Bilder, oder noch besser Videos wären eine große Bereicherung.
Zum Beispiel der Genetikanbieter Rinderbesamung Memmingen stellt auf Youtube Filme von ihren Stieren zur Verfügung. Dies ist sehr vorbildlich und lobenswert.
Beispielfilm: Link
Mit unserer neuen SHV-Webseite können wir nun ebenfalls Videos aufschalten. Ein mögliches Beispiel finden Sie beim Stier "Einfach" (Link).
Bildquelle: Screenshot Youtube
Schlussfolgerung
Die Viehzucht bleibt auch mit der genomischen Zuchtwertschätzung ein Handwerk, und dazu braucht es auch ein gutes Auge. Bei manipulierten Bildern nützt aber das beste Auge nichts mehr.
"Ein gutes Auge braucht jeder, manipulierte Bilder braucht hingegen keiner.", so das Fazit des Autors Thomas Müller.
Anmerkung: Mit diesem Betrag möchten wir niemanden kritisieren oder sogar an den Pranger stellen. Unsere Absicht ist es, dass die Feststellungen der Züchterschaft auf den Tisch gebracht werden. Wir möchten auf gewisse Themen aufmerksam machen, sensibilisieren und Diskussionen anregen.
Unser gemeinsames Ziel muss sein, Fehler zu erkennen, um diese in Zukunft zu vermeiden. Gemeinsam möchten wir die braune Kuh weiterentwickeln und verbessern.
Autor: Thomas Müller, Landwirt & Agronom, SHV-Vorstandsmitglied